Presseschau - Erzieher

Erzieher: "Als Mann ist man so ein bisschen Exot im Kindergarten" 

Er ist ein Mann und arbeitet als Erzieher. Manche Eltern finden das komisch, für ihn ist es das Normalste der Welt. Das anonyme Gehaltsprotokoll eines Kindergärtners.

Alter:30
Beruf:Erzieher 
Gehalt:1.250 Euro netto in einer 50-Prozent-Stelle 

Vor ein paar Jahren kam ein Vater zu mir und meinte, er wolle nicht, dass ich mit seiner Tochter auf die Toilette gehe. Ein Mann, der mit einem Mädchen auf Toilette geht, das ginge nicht. Mich hat das sehr nachdenklich gemacht. Ich bin Erzieher. Es ist meine Aufgabe, den Kindern zu helfen – in den verschiedensten Situationen und auch, wenn es um das auf die Toilette gehen geht. Ich hatte das Mädchen eingewöhnt und war imKindergartenihre Bezugsperson. Doch die Forderung des Vaters war eindeutig. Also habe ich immer eine meiner Kolleginnen gerufen, wenn das Mädchen mal musste. Nach einer Weile habe ich den Vater des Mädchens zu einem Gespräch eingeladen, um mich besser kennenzulernen. Er hat dann gemerkt, dass er mir vertrauen kann, und ich durfte seiner Tochter wieder helfen, wenn sie auf die Toilette musste. 

In den zehn Jahren, die ich schon als Erzieher arbeite, kamen solche Situationen aber nicht oft vor. Ich glaube, dass es immer normaler wird, dass es auch männliche pädagogische Fachkräfte gibt. Manche Eltern gucken zwar schon erst mal ein bisschen komisch, wenn da ein Mann im Kindergarten rumläuft, aber wenn ich dann mit denen spreche und sie sehen, wie ich mit den Kindern umgehe, legen fast alle dieses erste Misstrauen schnell ab. Es ist schon komisch: Meine Einrichtung ist in einem Stadtviertel, in dem die meisten Eltern, glaube ich, viel Wert auf Gleichberechtigung legen – aber ein Mann als Erzieher ist noch nicht für alle ganz normal. Als Mann ist man eben so ein bisschen Exot im Kindergarten. Über 90 Prozent der Fachkräfte sind weiblich. In meiner Einrichtung bin ich die einzige männliche pädagogische Fachkraft. 

Meine Freunde und Familie finden es toll, dass ich diesen Beruf gewählt habe – mein Bruder und meine Mutter arbeiten mittlerweile sogar auch als Erzieher. Und gerade vonseiten der Kindergartenleitung spüre ich, dass es ihr wichtig ist, dass auch Männer in der Einrichtung arbeiten. Ich würde sogar sagen, wenn man kein absolut unterirdisches Zeugnis hat, bekommt man als Mann ziemlich schnell einen Job. Viele Leiterinnen von Einrichtungen schauen sich gezielt nach männlichen Erziehern um und wünschen sich wenigstens einen Mann in ihrer Einrichtung. Was Erzieherinnen und Erzieher mit den Kindern unternehmen und was sie ihnen mitgeben, unterscheidet sich teilweise schon. Ob es klischeehaft ist, dass ich mit den Kindern vor allem Sport mache und in die Werkstatt gehe und manche meiner Kolleginnen mit den Kindern eher basteln, darüber mache ich mir keine Gedanken – das sind einfach die Bereiche, die mir Spaß machen. 

Unabhängig davon, ob Frau oder Mann, ist es aber aktuell schwierig, überhaupt pädagogische Fachkräfte zu finden. Dass es einen großen Erziehermangel gibt, merke ich, wenn es heißt, "Die Werkstatt bleibt heute zu" oder "Kannst du heute drei Kinder mehr betreuen, eine Erzieherin ist krank". Wir sind sehr knapp besetzt; auf 66 Kinder kommen sieben Erzieherinnen, die ganztags arbeiten. Vor zehn Jahren habe ich angefangen, als Erzieher zu arbeiten. Trotz Streiks und Tarifverhandlungen habe ich das Gefühl, es wird nicht besser, sondern immer schlechter. Es zieht immer weniger junge Menschen in den Beruf. Der größte Knackpunkt ist mit Sicherheit das Gehalt. Ungefähr 1.600 Euro netto bei einer 38-Stunden-Woche, nach vier Jahren Berufsausbildung, das ist schon heftig. 

Ich arbeite aktuell nur noch 50 Prozent als Erzieher und verdiene entsprechend weniger, etwa 1.250 Euro netto im Monat. Die anderen 50 Prozent bin ich Kickboxer. Schon als Kind habe ich angefangen, Kampfsport zu machen. Mit 15 Jahren wurde ich Judo-Trainier und habe Kinder im Verein trainiert. In dieser Zeit habe ich gemerkt, wie viel Spaß mir die Arbeit mit Kindern macht und beschlossen, die Ausbildung zur pädagogischen Fachkraft zu beginnen. Ich habe aber nie aufgehört, selbst zu boxen und bin fünfmal die Woche noch vor dem Kindergarten ins Training gegangen. Irgendwann kam der Punkt, an dem ich mich entscheiden musste: Unter die Profis gehen oder Amateur bleiben. Viele würden ihren Job wahrscheinlich nicht gegen eine schlecht bezahlte Sportlerkarriere eintauschen. Ich verdiene fast besser, seitdem ich halb Erzieher, halb Boxer bin, und das liegt nicht daran, dass Kickboxer so gut bezahlt werden.  

"DASS ICH DAMIT NICHT REICH WERDE, WAR MIR SCHON KLAR"

Im Sport habe ich diesen Ehrgeiz, immer weiter und höher zu kommen, im Kindergarten ist das anders. Natürlich könnte ich versuchen, in eine Leitungsposition aufzusteigen und dort etwas mehr Geld zu verdienen. Doch für mich war von Anfang an klar: Wenn ich Erzieher werden will, möchte ich auch tatsächlich mit den Kindern arbeiten. Dass ich damit nicht reich werde, war mir schon klar. Ich mache den Job, weil er mir Spaß macht, und weil ich merke, dass ich den Kindern etwas mitgeben kann – zum Beispiel kreativ zu sein. Neulich kam ein Junge zu mir und wollte ein Schwert und ein Schild bauen, um an Fastnacht als Ritter zu gehen. Anstatt ein Plastikschwert zu kaufen, wusste er, dass ich ihm helfe, selbst eines in der Werkstatt zu bauen. Oder ich versuche, ihnen mitzugeben, mit Wut umzugehen. Ich habe zum Beispiel einen Boxsack für die Kinder gekauft, der jetzt im Kindergarten hängt. Da können sie ihren Dampf ablassen und lernen, ihre Aggressionen zu kanalisieren. 

Trotzdem hat bis jetzt zum Glück noch keines der Kinder gesagt, dass es Boxer werden möchte. Ich glaube, das ist nicht der gewinnbringendste Job. Vielleicht schreckt sie auch ab, dass ich manchmal mit einem blauen Auge in den Kindergarten komme. "Hast du schon wieder geboxt?", fragen sie. "Ja, da war ich ein bisschen unaufmerksam und habe eine abgekriegt", sage ich dann.

 

Quelle: ZEIT ONLINE 11.02.2019