Presseschau - "Verstehen, was unsere Kinder uns sagen"

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Deutschlandfunk Kultur – Interview

Jugendtherapeutin Ulrike Döpfner - "Verstehen, was unsere Kinder uns sagen"

Moderation: Ute Welty

Gespräche zwischen Eltern und ihren Teenager-Kindern gestalten sich oft schwierig - vorsichtig ausgedrückt. Dabei gibt es ein paar Tricks, mit denen man Jugendliche zum Reden bringen kann, sagt Kinder- und Jugendtherapeutin Ulrike Döpfner.

Ute Welty: Dieses Miteinanderreden, das ist ja gerade groß in Mode. Da will der Ministerpräsident von Thüringen reden mit allen demokratischen Parteien im Landtag, es geht ja schließlich um seine zweite Amtszeit. Die Bundesbildungsministerin will mehr Schulpartnerschaften zwischen Ost und West, denn in Deutschland müsse mehr miteinander geredet werden. Und auch im Ecuador wollen Präsident und Protestierer miteinander reden, damit die Ausschreitungen und Demonstrationen aufhören.

Ulrike Döpfner hat dem Miteinanderreden ein Buch gewidmet, "Der Zauber guter Gespräche" heißt es, und es setzt an bei den Gesprächen mit Kindern und Jugendlichen, denn Ulrike Döpfner ist Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche. In der Politik ist die kurze Antwort ja eher die Ausnahme, in der Familienpraxis wünschen sich die Eltern oft ausführlichere Antworten von ihren Kindern. Gibt es den einen Trick, um das zu erreichen?

Döpfner: Na ja, es gibt jetzt nicht den Zaubertrick, aber ich glaube ...

Welty: Schade!

Döpfner: Ja, schade schon. Ich glaube, man erreicht als Eltern oft mehr und ausführlichere Antworten, wenn wir uns als Eltern selber ein Stück zurücknehmen. Wir sind ja ganz schnell dabei, zu senden und unsere Einschätzungen, unsere Empfehlungen, unsere Ratschläge zu geben – und hören oft unseren Kindern gar nicht so richtig zu. Und dann fühlen sie sich manchmal vielleicht etwas überrumpelt oder auch ausgefragt. Und wenn wir es schaffen, uns ein bisschen mehr zurückzunehmen und unseren Kindern besser zuzuhören und tatsächlich auf das einzugehen, was sie uns erzählen, dann wirkt das manchmal sehr motivierend. Und Kinder fangen dann an zu erzählen und zu erzählen und zu erzählen.

Es funktioniert gut mit aktivem Zuhören

Welty: Haben Sie mal ein Beispiel, wo das gut funktioniert hat? Also, weil es gibt ja auch die Situationen, da muss ich einfach wissen, wie die Klassenarbeit ausgegangen ist, um entsprechend handeln zu können oder auch sanktionieren zu können.

Döpfner: Ja, absolut, na klar! Das sind Informationen, die uns Eltern natürlich sehr interessieren. Im Prinzip funktioniert das sehr gut mit dem aktiven Zuhören. Aktives Zuhören bedeutet einfach, dass wir versuchen, ganz genau zu verstehen, was unsere Kinder uns sagen, und dann mit eigenen Worten das zusammenzufassen, was sie uns sagen, und dann auch den Kindern das Gefühl spiegeln, was bei uns ankommt. Sie haben nach einem Beispiel gefragt. Unsere Tochter kommt nach Hause, ist sehr erbost und sagt: Ich hasse Hannah, sie spielt nur noch mit Lisa. Dann sind wir eigentlich in der Regel ganz schnell und sagen: 'Och mein Schatz, mach dir nichts draus, das war bei mir früher auch so.' Oder wir sagen:  'Ach, ja, ja, typisch, such' dir einfach eine andere Freundin!'

Wir sagen also unsere Meinung, wir könnten aber auch einfach auf das eingehen, was sie uns sagt, und sagen: 'Mensch, du bist richtig enttäuscht von Hannah.' Und dann würde sie sagen: 'Ich bin nicht nur enttäuscht, Mama, ich bin stinkwütend.' Das heißt, wir würden ihr die Möglichkeit geben, ihre eigenen Gefühle erst mal zu reflektieren und sie dann auch noch zu benennen – etwas, was viele Erwachsene noch nicht einmal schaffen. Und dann würden wir ihr Raum lassen, vielleicht eine eigene Idee zu entwickeln. Vielleicht würde sie sagen: 'Ich bin echt sauer auf sie, aber sie ist nach wie vor meine Lieblingsfreundin, hmm, vielleicht lade ich sie mal am Samstag zum Übernachten ein und dann haben wir mal wieder so richtig viel Zeit zusammen.'

Welty: Kommen wir auch schwerer miteinander ins Gespräch, weil es zu viel Ablenkung gibt, zu viel anderes Programm?

Döpfner: Da haben Sie einen ganz wichtigen Punkt getroffen. Wir leben ja in einer Zeit, wo wir Eltern und zum Teil auch unsere schon etwas größeren jugendlichen Kinder von morgens bis abends am Empfangen und am Senden sind. Ständig strömen Mails, Nachrichten, Anrufe, Push-Nachrichten auf uns ein – und wir fühlen uns auch verpflichtet, immer zu reagieren. In so einem Modus kann man natürlich sich sehr schwer auf sein Gegenüber einlassen. Und deshalb, denke ich, ist es gerade bei Gesprächen mit Kindern sehr wichtig, ihnen ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken und sich an einem Moment des Tages tatsächlich voll und ganz auf die Kinder einzulassen.

Einen Moment am Tag voll und ganz da sein

Welty: Aber das bedeutet nicht, ständig verfügbar zu sein?

Döpfner: Überhaupt nicht. Man kann ja stundenlang Zeit miteinander verbringen und kein Wort miteinander reden, das ist ja auch möglich. Nein, dass man tatsächlich an einem Moment des Tages wirklich konzentriert und ohne Ablenkung, ohne ich gehe mal kurz und nehme den Anruf entgegen, und schwups ist das Kind weg und möchte gar nicht mehr reden, wirklich einen Moment des Tages wirklich voll und ganz dem Kind zuzuhören und da zu sein. Dann fühlt es sich wertgeschätzt, ernst genommen und ist dann auch bereiter, etwas zu erzählen, was ihm auf dem Herzen liegt, als wenn wir ständig abgelenkt sind. Wir kennen das ja auch von uns selbst, erzählen wir unserer besten Freundin etwas und sie sagt, oh, Moment, ich nehme noch kurz den Anruf an oder oh, Entschuldigung, ich muss noch auf die Mail reagieren – dann denken wir, wir sind ihr gar nicht wichtig. Das geht unseren Kindern genauso wie uns.

Welty: Inwieweit müssen oder können oder sollen Erwachsene auch Vorbild sein?

Döpfner: Ich denke, das ist eine ganz ausschlaggebende Rolle, die wir als Erwachsene haben im Gespräch mit den Kindern. Die Prinzipien, die ich in dem Buch beschreibe, gelten im Grunde fast genauso auch für Gespräche unter Erwachsenen. Der entscheidende Unterschied zwischen Gesprächen unter Erwachsenen und Gesprächen mit Kindern ist tatsächlich diese Vorbildfunktion. Und so, wie wir mit den Kindern reden, wie wir auf sie eingehen oder nicht, wie empathisch wir sind, wie offen wir sind, das hat einen entscheidenden Einfluss. Und vieles davon gucken sich Kinder ab.

Welty: Inwieweit trifft das Kommunikationsverhalten eines Kindes, eines jüngeren Menschen auch schon eine Aussage darüber, wie sich dieser Mensch als erwachsener Mensch verhält?

Döpfner: Das ist eine spannende Frage. Kinder erleben ja unterschiedliche Entwicklungsphasen und verändern sich auch permanent. Natürlich gibt es gewisse Persönlichkeitsdispositionen, die bleiben auch, aber es kann durchaus sein, dass ein Kind, was in der frühen Kindheit vielleicht etwas schüchterner war, durchaus sich vielleicht etwas mutiger äußert. Aber oft, wenn ein Kind so ganz extrem viel redet oder ganz extrem zurückgezogen ist, dann gibt es eine große Wahrscheinlichkeit, dass einiges von dem auch als Erwachsener bestehen bleibt.

Nicht mit Dreijährigen reden wie mit Erwachsenen

Welty: Jetzt ist es ja ein Unterschied, ob ich mit einem Dreijährigen rede, mit einem Dreizehnjährigen oder mit einem 23-Jährigen. Mein Eindruck ist, dass Eltern mit einem Dreijährigen versuchen zu reden wie mit einem Erwachsenen, und das kann nicht funktionieren.

Döpfner: Ja, da haben Sie völlig recht. Man muss schon altersangemessen auf die Kinder eingehen, damit sie einen überhaupt verstehen. Und häufig ist es auch so, dass Jugendliche empfinden, dass ihre Eltern sie noch wie kleinere Kinder behandeln und ihnen gar nicht so auf Augenhöhe begegnen und sie gar nicht so ernst nehmen. Das ruft dann halt häufig Widerwillen hervor, und dann gibt es diese dynamische Entwicklung, wo Eltern und Jugendliche sich voneinander wegbewegen, was eigentlich gar nicht sein müsste, wenn man eben die Jugendlichen mit ihren Standpunkten auch dem Alter entsprechend ernst nimmt.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Quelle: deutschlandfunkkultur.de | 02.11.2019